Rein? Natürlich!
"Ich trinke am liebsten Bier, das nach dem Reinheitsgebot gebraut ist." Diesen Satz höre ich als Craftbeer-Brauerin immer öfter, denn für viele Biertrinker*innen ist Craftbeer irrtümlicherweise Bier, dass nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut ist.

Wenn ich dann genauer nachfrage: "Warum trinkst du am liebsten Bier, dass nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut ist?", bekomme ich meist die gleiche Antwort: "Weil da keine Zusatzstoffe und so im Bier sind." Wer das schon einmal zu mir gesagt hat, der weis Bescheid was jetzt kommt. Genau! Ein circa zwei Stunden dauerndes Aufklärungsgespräch über das Reinheitsgebot. Damit ich mir in Zukunft nicht mehr den Mund fusselig reden muss, leiste ich hier in meinem ersten Blogbeitrag Aufklärung darüber, was das Reinheitsgebot überhaupt ist, woher es kommt und warum ich nicht immer Verständnis dafür habe.
So und bevor ich mich jetzt wieder in das Thema reinsteigere, steigen wir erstmal in unsere Zeitmaschine und reisen in das Jahr 1516, beziehungsweise sogar noch in die Zeit davor. Wir reisen in eine Zeit, als Brauen noch Frauensache war, als die Hefe von einem Zauberstab kam und die Erfindung der ersten Kältemaschine noch weit in der Zukunft lag. Gebraut wurden also spontanvergorene obergärige Biere, die nicht kühl gehalten wurden. Gerstenmalz war nicht immer genug vorhanden, also wurde auch gerne mal ein Erbsen- oder Maisbier gebraut. Da Bier im Mittelalter unbedenklicher zu trinken war als einfaches Wasser, wurde dementsprechend viel Bier getrunken. Erbsenbier war unbedenklich zu trinken, aber ob es geschmeckt hat, war ein anderes Thema. Solange es nur bei Erbsen und Mais geblieben wäre, hätte es wahrscheinlich das Reinheitsgebot nie gegeben. Bedenklich wurde es erst als besonders "kreative" Brauer beschlossen das Bier mit Ochsengalle, Ruß, oder ähnlichen "Köstlichkeiten" zu panschen. Spätestens als die ersten begeisterten Zecher nach dem Konsum besagter Biere starben, wurde es den bierliebenden Bayern zu bunt. Im April 1516 wurde schließlich von den Herzögen Wilhelm IV. und Ludwig X im Rahmen einer Landesverordnung das deutsche Reinheitsgebot erlassen. Das Reinheitsgebot diente der Qualitätssicherung des Bieres und besagte, dass Bier neben Wasser nur Hopfen und Malz enthalten durfte. Die Hefe kam erst später dazu, denn wie schon erwähnt, war den damaligen Brauer*innen die Wirkung von Hefe noch nicht bewusst. Das Bier wurde ab sofort auf den gewissen Standart getestet. Erfüllte es diesen nicht, wurde dem Fass der Boden ausgeschlagen, oder die Produzent*innen wurden gezwungen ihr verunreinigtes Bier selbst zu trinken. Schluss mit Mais-, Erbsen- und Bohnenbier! Und das für über 500 Jahre.
Mit der wachsenden Nachfrage an Bier und mit voranschreitender Industrialisierung, verlangte die Herstellung im großen Rahmen einige Anpassungen. Also von wegen nur Hopfen, Malz, Wasser und Hefe! Insgesamt sind es 66 Roh-, Zusatz- und Verarbeitungsstoffe, die während des Herstellungsprozesses beigefügt werden dürfen. Sogar aus Zucker hergestellte Farbstoffe dürfen dem reinen Bier beigefügt werden, aber Erdbeeren, Meersalz oder Haferflocken? Nein, dann darf es nicht mehr Bier heißen! Also warum keine völlig natürlichen Gewürze oder Früchte dem Bier beifügen? Ist das Reinheitsgebot nicht schon längst überholt? Steht hier die Tradition der Innovation im Weg? Eine klare Antwort kann ich euch nicht geben, jedoch möchte ich ein paar Gedankengänge zu dem Thema mit euch teilen. Ich möchte auf keinen Fall sagen, dass das Reinheitsgebot schlecht ist, jedoch möchte ich mich kritisch damit auseinander setzen mit dem Blick auf die Zukunft des deutschen Bieres.
Erstmal hat das Reinheitsgebot in den über 500 Jahren seiner Existenz genau das geleistet, für das es bestimmt war: Ein stehts hohe Qualität des deutschen Bieres in der Vergangenheit und der Gegenwart. Dank des Reinheitsgebotes haben wir immer ein Gewisses Maß an Transparenz und einen Qualitätsstandart und können unser Bier immer bedenkenlos genießen. Mit Ochsengalle würde zwar heute (hoffentlich) niemand mehr das Bier panschen, aber ein Wegfall des Reinheitsgebotes könnte dafür sorgen, dass die Industrie das Bier mit Zucker oder Mais panschen würde, oder sogar nur noch mit Aromen und gar nicht mehr mit Hopfen brauen würde. Also ist der vorgegebene Standard durchaus sinnvoll und schützenswert.
Aber steigen wir nur nochmal zurück in die Zeitmaschine und reisen weg von den deutschen Traditionsbieren, hin zu ein paar kreativen Amerikanern in den 1970er Jahren. Zu dieser Zeit wurde der amerikanische Biermarkt von meist etwas wässrigen Standartbieren dominiert. Dementgegen standen einige Hobbybrauer, die meist in der eigenen Garage, die verschiedensten Bierstile nachbrauten und neu Interpretierten. Aus dieser nie dagewesenen Biervielfalt wurden die Craftbiere geboren. Von einem Reinheitsgebot war dort nie die Rede. Das meist besonders hochwertige, handwerklich gebraute Bier der Garagenbrauer wurde zu einem Trend, der bis heute jedes Jahr wächst. Die Biere waren häufig sehr kreativ und trugen Namen wie "Grannys Appel Pie Stout" oder "Super Strawberry Sour" und enthielten neben den klassischen Bierkomponenten noch einige weitere Zutaten wie Beispielsweise Früchte oder Gewürze. Um das Jahr 2010 herum schwappte der Craftbeertrend auch nach Deutschland über. Jedoch gab es folgendes Problem bei den deutschen Craftbeerbrauer*innen: War das Bier nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut, durfte es auch nicht Bier genannt werden. Also kein Erdbeerbier in Deutschland! Verständlicherweise sorgte diese Regelung bei einigen Brauer*innen für Unverständnis. Eine Lösung hierfür bietet der 2017 gegründete Verband Deutscher Kreativbrauer e.V. an: Das Natürlichkeitsgebot. Grob erklärt erlaubt das Natürlichkeitsgesetz im Bier alles, was natürlich ist. Beispielsweise ist nach diesem Gebot das Nutzen von Mango, oder Koriander in einem Bier gestattet, während im Gegensatz zum Reinheitsgebot das Verwenden von artifiziellem Zucker, Konzentraten, oder chemischen Filterstoffen untersagt ist. Warum das natürlichkeitsgebot, also nicht schon längst in das Vorläufige Biersteuergesetz aufgenommen wurde ist mir ein Rätsel. Eine Koexistenz von Reinheitsgebot bei traditionellen Bieren und ein Natürlichkeitsgebot bei Kreativbieren, würde meiner Meinung nach problemlos funktionieren. Wieso also nicht?
Also hebe ich mein (Bier)Glas auf Transparenz, Innovation und Natürlichkeit!.